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Mängel im Wahlrecht - Ausschluss für Menschen mit Behinderung ist noch immer Praxis

04.09.2017 Rummelsberg.

„Wahlberechtigt ist, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat.“ So steht es im Grundgesetz. Doch in Absatz 3 des Artikels findet sich eine Einschränkung: „Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.“ Und genau dieses Bundeswahlgesetz ist der Grund, weshalb rund 80.000 Menschen in Deutschland bei der Bundestagswahl am 24. September ihre Stimme nicht abgeben dürfen, selbst wenn sie es wollen und körperlich dazu in der Lage sind. Paragraf 13 schließt Menschen, die eine gerichtlich angeordnete „Betreuung in allen Angelegenheiten“ haben, von der Wahl aus. Den Betroffenen wird die Entscheidungsfähigkeit bei einer Wahl abgesprochen, weshalb sie kein formales Wahlrecht erhalten. Die Wahlrechtsausschlüsse sind bürokratisch und teilweise willkürlich.
 
„Betreuung in allen Angelegenheiten“ ist ein juristischer Begriff. Wenn im Richterbeschluss die Betreuung in den verschiedenen Aufgabenbereichen einzeln aufgelistet wird, zum Beispiel Gesundheitssorge und finanzielle Angelegenheiten, behält die betroffene Person ihr Wahlrecht. Irmingard Fritsch von der Beratungsstelle für Menschen mit Behinderung der Rummelsberger Diakonie in Nürnberg gibt den Tipp: „Beantragen Sie beim zuständigen Amtsgericht, die Formulierung ,Betreuung in allen Angelegenheiten‘ durch die Aufzählung der einzelnen Betreuungskreise zu ersetzen.“ Dann darf der oder die Betroffene regulär wählen gehen.
 
Bayern hat bundesweit die meisten Wahlrechtsausschlüsse
 
Einige Bundesländer umgehen bereits bei Landtagswahlen den Paragrafen, indem sie keine „Betreuung in allen Angelegenheiten“ mehr erfassen. So können alle wählen gehen. Dennoch ist eine Änderung der Landes- und Bundesgesetze notwendig, um die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung bei Wahlen zu beenden. In Bayern wird der Paragraf nach wie vor angewandt, im bundesweiten Vergleich hat Bayern außerdem die größte Anzahl an Menschen unter Wahlrechtsauschluss. „Ich werde mich für eine entsprechende Änderung des Wahlrechts in Bayern einsetzen. Jeder der wählen kann, muss auch wählen dürfen“, sagt Irmgard Badura, Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung.
 
Bereits zur Bundestagswahl 2013 gab es Protest gegen den umstrittenen Paragrafen, den Vertreter der Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention und viele Parteienvertreter für verfassungswidrig halten. Im Koalitionsvertrag legten CDU/CSU und SPD, die sich mit allen anderen Parteien im Bundestag einig sind, eine Änderung des Paragrafen fest. Passiert ist bisher allerdings nichts. Die Union will das Wahlgesetz insgesamt überarbeiten. Weil es in anderen Punkten des Gesetzes bisher keine Einigung gibt, wurden auch die Änderungen nicht durchgesetzt, bei denen Konsens besteht. Mittlerweile haben acht Betroffene eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Eine Entscheidung wird noch in diesem Jahr erwartet, für die Bundestagswahl wird das aber zu spät sein.
 
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